Geschichte der Romanistik - Wiege in Bonn

Als Teil der "Wiege der Romanistik" in Bonn dokumentieren Bonner Professor*innen und der langjährige Kustos und Akademische Direktor Dr. Willi Jung Geschichte, Wandel und Traditionen der Bonner Romanistik (vgl. hierzu auch Die Buchwissenschaften, hg. von Thomas Becker und Philipp Rosin, s.v. Romanistik, Romanistik. Eine Bonner Erfindung, hg. von Willi Hirdt, Richard Baum, Birgit Tappert).

Bereits vor der Begründung des Fachbereichs legt August Wilhelm von Schlegel, ab 1818 an der Universität Bonn, mit seinen Observations sur la langue et la littérature provençales im gleichen Jahr den wegweisenden Grundstein für die historisch-vergleichende Perspektive der romanischen Philologie. Für weiterführende Infos schauen Sie in den Sammelband zur Ringvorlesung zum 200-jährigen Jubiläum der Universität Bonn und der »Observations sur la langue et la littérature provençales« (1818), hg. von Prof. (i.R.) Dr. Franz Lebsanft.

Friedrich Diez in Bonn

Die Romanische Philologie entstand aus der romantischen Begeisterung für die Kulturen der romanischen Länder und für die Literatur des Mittelalters zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Bonn: Urheber war der Philologe Friedrich Diez, ab 1825 Professor an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität. Er verfasste bahnbrechende Arbeiten zur provenzalischen Literaturgeschichte (Die Poesie der Troubadours, 1826; Leben und Werke der Troubadours, 1829) und bewies aufbauend auf die Theorien A.W. Schlegels mit seiner Grammatik der romanischen Sprachen (3 Bde., 1836-1844), dass alle romanischen Sprachen auf das sogenannte Vulgärlatein zurückgehen. Sein Etymologisches Wörterbuch der romanischen Sprachen (2 Bde., 1853) legte darüber hinaus den Grund zu vielfältigen sprachwissenschaftlichen Forschungen der Folgezeit.

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© Universität Bonn / Anne Real
Eine Wissenschaftlerin und ein Wissenschaftler arbeiten hinter einer Glasfassade und mischen Chemikalien mit Großgeräten.
© Universität Bonn / Anne Real

Wendelin Förster in Bonn

Sein Nachfolger Wendelin Foerster gründete an der Universität Bonn, dem damaligen "Mekka aller deutschen Philologen", 1878 das "Königliche romanische Seminar" als erstes Universitätsinstitut dieser Disziplin überhaupt. Es widmete sich der Erforschung der Sprachen, die sich aus dem Lateinischen entwickelt haben. Dazu wurde aus alten Handschriften Minnelyrik und Ritterepik kopiert, man trieb Sprachstudien und erstellte Wörterbücher, um die Texte übersetzen und ihnen den Platz in der Literaturgeschichte zuweisen zu können. Getragen wurde die neue philologische Disziplin von der Idee einer geistigen Einheit der Romania. Die Strahlkraft der Bonner Romanistik reichte über die Grenzen hinaus: Der Literatur-Nobelpreisträger Luigi Pirandello promovierte von 1889 bis 1891 im Fach Romanische Philologie in Bonn.

48

Romanistik-Standorte in Deutschland

243

Jahre Bonner Romanistik

10

Romanistik-Standorte in Österreich und der Schweiz

Heinrich Schneegans in Bonn

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© De Gruyter

Mit Heinrich Schneegans (1863-1914) begann nicht nur in Bonn, sondern in der Romanistik allgemein eine neue Etappe in der inhaltlich-methodischen Ausrichtung der Disziplin. Schneegans hat die Rolle der Lektüre bei der Ausbildung der Studierenden ebenso betont wie die politische Dimension der neuen Wissenschaft. 1909 wurde er Nachfolger von Foerster und betreute als akademischer Lehrer schon zwanzig Doktorarbeiten, darunter auch mehrere von Frauen, was in der damaligen Zeit außergewöhnlich war.

Wilhelm Meyer-Lübke und Leo Spitzer in Bonn

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© Carl Winter Universitätsverlag, Heidelberg

Wilhelm Meyer-Lübke (1861–1936) nahm 1915 einen Ruf nach Bonn auf den Lehrstuhl von Friedrich Diez an. Er galt als führender Romanist seiner Zeit. Zahlreiche Einladungen zu Vortragsreisen und Gastprofessuren führten ihn ins Ausland – darin könnte man auch einen frühen Beleg für die internationalen Beziehungen der Bonner Romanistik sehen. Einer seiner profiliertesten Schüler war Leo Spitzer, der sich im Sommersemester 1918 an die Universität Bonn umhabilitierte und hier als Privatdozent
lehrte.

Ernst Robert Curtius in Bonn

Im 20. Jahrhundert war es Ernst Robert Curtius, der die Geschicke der Romanischen Philologie ganz wesentlich mitgeprägt hat. Er fand das Zentrum seines wissenschaftlichen Wirkens am Romanischen Seminar der Universität Bonn: Zunächst als Privatdozent und außerplanmäßiger Professor von 1914 bis 1920 - mit kriegsbedingten Unterbrechungen - und von 1929 bis zu seiner Emeritierung 1951 als ordentlicher Professor für Romanische, später auch Mittellateinische Philologie. In seinem 1919 erschienenen Werk Die literarischen Wegbereiter des neuen Frankreich unternahm er den Versuch, dem deutschen Publikum sein durch Nationalhass und Vorurteile entstelltes Frankreichbild durch den Hinweis auf den literarischen Aufbruch der Generation von Romain Rolland, André Gide und Paul Claudel in Frankreich zurecht zu rücken. In den dreißiger Jahren zunehmend isoliert aufgrund seines Eintretens gegen den Nationalsozialismus (Deutscher Geist in Gefahr, 1932), wandte er sich den Epochen der Vergangenheit zu. Sein mehrfach übersetztes und elf Mal aufgelegtes Hauptwerk Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter (1. Aufl. 1948) wies zu einem Zeitpunkt, als Europa in Schutt und Asche lag, den Weg für eine Kultur, die, von der Antike an das Mittelalter vermittelt, durch Jahrtausende hindurch Europa prägte, als gemeinsame Basis aller europäischen Nationalliteraturen und -kulturen.

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© Universität Bonn / Archiv
Eine Wissenschaftlerin und ein Wissenschaftler arbeiten hinter einer Glasfassade und mischen Chemikalien mit Großgeräten.
© Professorenkatalog der Universität Leipzig

Harri Meier in Bonn

Harri Meier (1905–1990) prägte als Nachfolger auf dem Lehrstuhl von Curtius nahezu 20 Jahre die Geschichte der Bonner Romanistik. 1954 wurde er nach Bonn berufen, wo er bis zu seiner Emeritierung 1970 blieb. Über das Zustandekommen seiner Berufung äußerte er sich in einem Interview mit Willi Hirdt 1983 dahingehend, dass für Curtius ein literarhistorischer Nachfolger gar nicht infrage kam, weil er keinen gleichwertigen anerkannte. Harri Meier sah in jener Zeit unmittelbar nach seiner Berufung eine vordringliche Aufgabe im Ausbau der Bibliothek und der Verbesserung der Personalsituation.

Schwerpunkt seiner Forschungen war – auch hier steht er in der Tradition der Bonner Romanistik –, vor allem die Etymologie. Er gilt als Begründer der Bonner Hispanistik mit der Einrichtung eines eigenen Lehrstuhls.


Die Bonner Romanistik im späten 20. Jahrhundert

Lange Jahre wurden am Romanischen Seminar hauptsächlich Lehrer ausgebildet. Erst als ihre Berufsaussichten schlechter wurden, entschieden sich mehr Studierende für den Magisterstudiengang mit einem Haupt- und zwei Nebenfächern. Das Interesse der Studierenden am Romanistik-Studium geht seitdem vor allem dahin, die Sprache und Literatur Frankreichs, Italiens, Spaniens, Portugals oder Lateinamerikas kennenzulernen, um mit dem historischen Wissen die heutige Kultur und Gesellschaft besser zu verstehen und mit diesen Kenntnissen auch einen Arbeitsplatz zu finden.

Im letzten Drittel des Jahrhunderts erschlossen Willi Hirdt, Wolf-Dieter Lange, Eberhard Leube, Rafael Gutierrez Girardot, Horst Rogmann, Christian Schmitt und Heinz Jürgen Wolf dem Fach neue Schwerpunkte in Intermedialität und Interdisziplinarität und leiteten die Internationalisierung der Bonner Romanistischen Studiengänge ein. Das Romanische Seminar intensivierte die Kooperation mit dem Institut français und richtete die Ernst Robert-Curtius-Gastprofessur ein, die zu einer engen Verbindung mit dem hochrenommierten "Collège de France" in Paris führte.


Institut français in Bonn

1952 wurde das Institut français in unmittelbarer Nähe des Universitäts-Hauptgebäudes gegründet mit der Aufgabe, "eine Vitrine der französischen Kultur zu sein" und "der deutsch-französischen Annäherung zu dienen". Von Anfang an gab es eine enge Kooperation mit dem Romanischen Seminar, das in den fünfziger und sechziger Jahren in Bonn systematisch ausgebaut wurde. Endlich gehörte auch die zeitgenössische Literatur zu ihrem Forschungsgegenstand, und die Sprachwissenschaft begann, sich mit der gesprochenen Sprache zu befassen.


Die Bonner Romanistik zu Beginn des 21. Jahrhunderts

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© Universität Bonn / Anne Real

Mit dem ersten Viertel des 21. Jahrhunderts beginnt die Phase der intensiven Internationalisierung der Bonner Romanistik. Nach einem Generationenwechsel der Professorinnen und Professoren werden internationale Studiengänge sowie internationale Graduiertenkollegs aufgebaut.

Die Deutsch-Italienischen Studien (als Mutter aller internationalen Studiengänge Europas auf Initiative von Bundeskanzler Helmut Kohl und Ministerpräsident Giuliano Amato 1995 von Willi Hirdt (Bonner Italianistik), Norbert Oellers (Bonner Germanistik), Gino Tellini (Florentiner Italianistik) und Maria Fancelli (Florentiner Germanistik) gegründet) sowie Renaissance- Studien in Verbindung mit der Universität Florenz werden von Paul Geyer und Daniela Pirazzini betreut, die Deutsch-Französischen Studien zusammen mit der Sorbonne Université in Paris von Franz Lebsanft und Willi Jung, später Desirée Cremer. Mit der Universität Léon in Spanien entwickeln Mechthild Albert und Monika Wehrheim den gemeinsamen Masterstudiengang „Spanische Kultur und europäische Identität – Cultura y pensamiento europeo: tradición y pervivencia“, ein weiterer entsteht in Verbindung mit der Universität Salamanca, betreut von Franz Lebsanft und Anne Real. Mechthild Albert, Monika Wehrheim und Elmar Schmidt organisieren Kooperationen mit der  Pontifica Universidad Católica in Peru und der Universidad de Talca in Chile. Zwei renommierte trinationale Graduiertenkollegs werden in dieser Zeit gegründet: Das Kolleg Italianistik (betreut von Paul Geyer und Daniela Pirazzini) sowie das interdisziplinäre Kolleg Gründungsmythen Europas in Literatur, Kunst und Musik (betreut von Michael Bernsen) jeweils zusammen mit den Universitäten Florenz und Sorbonne-Université. Auf Betreiben der Bonner Romanistik entsteht ein Forschungsnetzwerk Cultures européennes – identité europénne ? unter Beteiligung von 10 weiteren Institutionen: den Universitäten Sorbonne Université, Toulouse, Warschau, Florenz, Fribourg, Salamanca, Sofia (Akademie und Universität) , St. Andrews, Irvine, CA. (verantwortlich Michael Bernsen ).

Parallel zur Internationalisierung entwickelt sich eine zunehmende Einbindung der Romanistik in interdisziplinäre Studiengänge. Neben den oben erwähnten internationalen Beispielen sind insbesondere die von Mechthild Albert und Monika Wehrheim in Kooperation mit der Altamerikanistik als Bonner Alleinstellungsmerkmal konzipierten Studiengänge zu erwähnen: der Bachelorstudiengang „Lateinamerika- und Altamerikastudien“ und der darauf aufbauende Masterstudiengang „Kulturstudien zu Lateinamerika“.  


Interdisziplinäres Lateinamerikazentrum (ILZ)

Ein weiteres internationales und interdisziplinäres Novum in Zusammenarbeit mit der Bonner Romanistik entstand mit der Gründung des ILZ 2017. Das ILZ versteht sich als Forum für alle zu Lateinamerika forschenden Wissenschaftler*innen der Universität Bonn. Aus der interdisziplinären Zusammensetzung der Mitglieder des Zentrums ergibt sich ein fruchtbarer Dialog zwischen den Disziplinen, der die Entwicklung von Forschungsvorhaben zu Lateinamerika und mit lateinamerikanischen Kolleg*innen über die Disziplinengrenzen hinweg ermöglicht.

Centre Ernst Robert Curtius (CERC)

2022 wurde mit der offiziellen Eröffnung des CERC unter maßgeblicher Beteiligung der Bonner Romanistik ein weiterer Meilenstein an der Universität Bonn gelegt. Das CERC knüpft an die Profilbreite des wirkungsmächtigsten Bonner Romanisten Ernst Robert Curtius, als Literaturkritiker, Philologe und Kulturwissenschaftler, an. Ein weiteres zentrales Anliegen des CERC bildet die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, indem der Forschungsschwerpunkt des CERC für die Fortentwicklung der internationalen Studiengänge und Forschungsnetzwerke der Bonner Universität nutzbar gemacht wird.

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