KULTURTHEORIEINTERKULTURALITÄT
KRITISCHEKULTURTHEORIE
KOMMENTIERTEBIBLIOGRAPHIE

Heise, Jens. 2001. "Japan, ethnographisch - Fragen einer interkulturellen Hermeneutik". 11. Deutschsprachiger Japanologentag in Trier 1999. Hg. von Hilaria Gössmann und Andreas Mrugalla. Hamburg: Lit , S. 621-625 (1. Ostasien - Pazifik 13).

Schlagwörter: Ethnologie, Kulturantropologie, Kulturtheorie, Japanologie, Hermeneutik, Interkulturalität, Interpretationsmodell

Abstract: Beginnend mit der Kritik am traditionellen Begriff der Kulturwissenschaft, befasst sich Heise mit der am Beispiel einer japanologischen, der anglo-sächsischen Kulturantropologie verpflichteten Arbeit aus dem Jahre 1993 - Joy Hendrys Wrapping culture - aufgezeigten Relevanz der Ethnologie zu einer kulturwissenschaftlichen Neuinterpretation. Der knappe Aufsatz besteht aus 2 Teilen. Der erste referiert die nach Heise nicht nur die Ethnologie, sondern jedes Verstehen des Fremden betreffende "Krise der Repräsentation" - der Titel, unter dem die Ende der 70er Jahre einsetzende Diskussion zur kulturwissenschaftlichen Selbstbefragung der Ethnologie verläuft. Ausgehend von einem Rousseau-Zitat aus dem Essay über den Ursprung der Sprachen wendet sich der Verfasser einer bereits im 18. Jh. formulierten, ethnographischen Bedingung für ein angemessenes Verständnis des Menschen zu: der Notwendigkeit zur
Überschreitung der eigenen Kultur und Perspektivierung des Fremden. Dies ermöglicht den Übergang zu einigen Hinweisen zur Debatte um die Krise der Repräsentation" , die sich an der von Rousseau für ethnographisch entscheidend gehaltenen Stelle entzündet: der Einsicht, daß Eigenes und Fremdes nicht unabhängig von einem Bedeutungszusammenhang (einer Sprache) existieren; diese richtet sich gegen die Annahme, daß der Sprache, i. e. die Repräsentation, Substanz/Wirklichkeit vorausliegt. An dieser Stelle extrapoliert Heise und versteht die "Krise der Repräsentation als anderen Ausdruck für den Prozeß, "den die Geisteswissenschaften seit etwa 20 Jahren durchlaufen und der gesteuert ist von der Frage nach dem Status einer Kulturwissenschaft" (S. 622). Es folgen einige Bemerkungen zur Hermeneutik Gadamers, die die abendländische Tradition für nicht überschreitbar erachtet, sowie zum Gegenentwurf Wierlachers, der das Fremde nicht als Ganzes, dennoch unter bestimmten Aspekten zugänglich hält. Aus diesem Fragmentcharakter formuliert Heise drei Anforderungen an die interkulturelle
Hermeneutik: sie muß grenzüberschreitend, integrativ und dialogisch sein. Der zweite Teil befasst sich mit Joy Hendrys ethnographisch orientiertem Wrapping culture, das die Verbindlichkeiten für eine interkulturelle Hermeneutik erfüllt. Ausgehend von der Beobachtung, dass die japanische Kultur zahlreiche Formen des Verpackens/Verbergens/Verhüllens aufweist, entwickelt Hendry die Interpretationsthese, dass es sich dabei nicht um das Verbergen von Inhalten, sondern um die Belegung von Gegenständen mit einer zusätzlichen Bedeutung, um die Vergabe von Signaturen handelt. Abschließend erfolgt eine Argumentation, die die Merkmale des Wrapping culture als für eine interkulturelle Hermeneutik verbindlich ausweist: grenzüberschreitend, da für verschiedene Disziplinen offen; integrativ, da die einzelnen Formulierungen in verschiedene Diskurse übersetzbar; dialogisch, da die Kultur Japans nicht als Objekt, sondern als Bedeutungszusammenhang wahrgenommen wird.

Kommentar: Mit diesem Aufsatz erbringt der Japanologe und Philosoph Jens Heise auf knappstem Raum eine dreifache, intra- sowie
interdisziplinär wirksame Leistung. Erstens wird hier der Japanologie, dem Fach ohne Methodik, mit der etnographischen Arbeitsweise nicht nur ein methodisches Instrumentarium angeboten, das sich - dies haben Publikationen wie Birgit Grieseckes Japan dicht beschreiben demonstriert - als äußerst fruchtbar erweisen kann, sondern auch die Möglichkeit einer kulturwissenschaftlichen Selbstbestimmung. Zweitens stellt der Aufsatz eine Aktualisierung der - besonders für Disziplinen wie die Japanologie, die mit europäischen Kategorien und Denkmustern an einen nicht-europäischen Forschungsgegenstand herangehen - aktuellen Debatte um das Verständnis des Fremden. Schließlich drittens gelingt es Heise - ähnlich R. A. Mall - Anforderungen an eine noch nicht institutionalisierte interkulturelle Hermeneutik pointiert zu formulieren und somit zur Festlegung eines noch nicht geschlossenen wissenschaftlichen Paradigmas beizutragen.

Literaturhinweise: Berg, Eberhard/Fuchs, Martin(Hg.): Kultur, soziale Praxis, Text. Die Krise der Repräsentation, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1995
Hendry, Joy: Wrapping Culture. Politeness, Presentation and Power in Japan and other Societies, Oxford: UP 1993. (D.L)