Abstract:
Beginnend mit der Kritik am traditionellen Begriff der Kulturwissenschaft,
befasst sich Heise mit der am Beispiel einer japanologischen, der anglo-sächsischen
Kulturantropologie verpflichteten Arbeit aus dem Jahre 1993 - Joy Hendrys
Wrapping culture - aufgezeigten Relevanz der Ethnologie zu einer kulturwissenschaftlichen
Neuinterpretation. Der knappe Aufsatz besteht aus 2 Teilen. Der erste
referiert die nach Heise nicht nur die Ethnologie, sondern jedes Verstehen
des Fremden betreffende "Krise der Repräsentation" - der Titel, unter
dem die Ende der 70er Jahre einsetzende Diskussion zur kulturwissenschaftlichen
Selbstbefragung der Ethnologie verläuft. Ausgehend von einem Rousseau-Zitat
aus dem Essay über den Ursprung der Sprachen wendet sich der Verfasser
einer bereits im 18. Jh. formulierten, ethnographischen Bedingung für
ein angemessenes Verständnis des Menschen zu: der Notwendigkeit zur
Überschreitung der eigenen Kultur und Perspektivierung des Fremden.
Dies ermöglicht den Übergang zu einigen Hinweisen zur Debatte
um die Krise der Repräsentation" , die sich an der von Rousseau für
ethnographisch entscheidend gehaltenen Stelle entzündet: der Einsicht,
daß Eigenes und Fremdes nicht unabhängig von einem Bedeutungszusammenhang
(einer Sprache) existieren; diese richtet sich gegen die Annahme, daß
der Sprache, i. e. die Repräsentation, Substanz/Wirklichkeit vorausliegt.
An dieser Stelle extrapoliert Heise und versteht die "Krise der Repräsentation
als anderen Ausdruck für den Prozeß, "den die Geisteswissenschaften
seit etwa 20 Jahren durchlaufen und der gesteuert ist von der Frage nach
dem Status einer Kulturwissenschaft" (S. 622). Es folgen einige Bemerkungen
zur Hermeneutik Gadamers, die die abendländische Tradition für
nicht überschreitbar erachtet, sowie zum Gegenentwurf Wierlachers,
der das Fremde nicht als Ganzes, dennoch unter bestimmten Aspekten zugänglich
hält. Aus diesem Fragmentcharakter formuliert Heise drei Anforderungen
an die interkulturelle
Hermeneutik: sie muß grenzüberschreitend, integrativ und dialogisch
sein. Der zweite Teil befasst sich mit Joy Hendrys ethnographisch orientiertem
Wrapping culture, das die Verbindlichkeiten für eine interkulturelle
Hermeneutik erfüllt. Ausgehend von der Beobachtung, dass die japanische
Kultur zahlreiche Formen des Verpackens/Verbergens/Verhüllens aufweist,
entwickelt Hendry die Interpretationsthese, dass es sich dabei nicht um
das Verbergen von Inhalten, sondern um die Belegung von Gegenständen
mit einer zusätzlichen Bedeutung, um die Vergabe von Signaturen handelt.
Abschließend erfolgt eine Argumentation, die die Merkmale des Wrapping
culture als für eine interkulturelle Hermeneutik verbindlich ausweist:
grenzüberschreitend, da für verschiedene Disziplinen offen;
integrativ, da die einzelnen Formulierungen in verschiedene Diskurse übersetzbar;
dialogisch, da die Kultur Japans nicht als Objekt, sondern als Bedeutungszusammenhang
wahrgenommen wird.
Kommentar:
Mit diesem Aufsatz erbringt der Japanologe und Philosoph Jens Heise auf
knappstem Raum eine dreifache, intra- sowie
interdisziplinär wirksame Leistung. Erstens wird hier der Japanologie,
dem Fach ohne Methodik, mit der etnographischen Arbeitsweise nicht nur
ein methodisches Instrumentarium angeboten, das sich - dies haben Publikationen
wie Birgit Grieseckes Japan dicht beschreiben demonstriert - als äußerst
fruchtbar erweisen kann, sondern auch die Möglichkeit einer kulturwissenschaftlichen
Selbstbestimmung. Zweitens stellt der Aufsatz eine Aktualisierung der
- besonders für Disziplinen wie die Japanologie, die mit europäischen
Kategorien und Denkmustern an einen nicht-europäischen Forschungsgegenstand
herangehen - aktuellen Debatte um das Verständnis des Fremden. Schließlich
drittens gelingt es Heise - ähnlich R. A. Mall - Anforderungen an
eine noch nicht institutionalisierte interkulturelle Hermeneutik pointiert
zu formulieren und somit zur Festlegung eines noch nicht geschlossenen
wissenschaftlichen Paradigmas beizutragen.
Literaturhinweise:
Berg, Eberhard/Fuchs, Martin(Hg.): Kultur, soziale Praxis, Text. Die Krise
der Repräsentation, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1995
Hendry, Joy: Wrapping Culture. Politeness, Presentation and Power in Japan
and other Societies, Oxford: UP 1993. (D.L)