KULTURTHEORIEKULTURKRITIK |
KOMMENTIERTEBIBLIOGRAPHIE |
Seibt,
Gustav. 1999. Kulturkritik? Allerdings! Über Historisierung, kulturkritische
Diätetik und das Pathos des Stammhirns. Neue Rundschau, 110, Nr.
2, 23-32.
Stichwörter:
Mensch und Natur, Verstädterung, Moralkritik, Historismus Abstract:
Die vormoderne Moral- und Sittenkritik ist regelmäßig ein
städtisches Problem. Den Musterfall einer solchen in der Stadt
erst möglichen, aber an den Werten eines ländlichen Kodex
festhaltenden Sittenkritik hat das antike Rom gebildet. Allerdings
darf diese Art Moralkritik nicht damit verwechselt werden, was heute
Kulturkritik genannt wird. Die moderne Kulturkritik erweist sich als
ein Epiphänomen des im 18. Jahrhundert entstehenden Historismus.
Der Historismus als Denk- und Wahrnehmungsform ist nun selbst das
Resultat eines zivilisatorischen Verdichtungs- und Beschleunigungsprozesses,
der alle Lebensbereiche erfaßte und sichtbar geschichtlich werden
ließ. Kommentar: Ausgehend von muslimischen und griechischen Überlieferungen, gefolgt von Texten aus und über das antike Rom, beschreibt Seibt das gemeinsame Wachsen von Städten und Sittenkritik. Fortführend über das Mittelalter, bezeichnet er die alteuropäische Moralkritik als konservatives Bewerten des Verhaltens, nicht aber als Urteil über das Wertesystems selber. Und genau deshalb kann man die heutige Kulturkritik nicht als Fortsetzung dieses Sittenwächtertums sehen, sondern als eine während der Aufklärung entstandene Analyse des zivilisatorischen Prozesses. Dabei hat das Individuum in der Moderne die Freiheit erlangt, diese Prozesse nach seinen unterschiedlichen Bewußtseinsebenen einzuordnen und zu beurteilen. (M.M.)
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