KULTURTHEORIEINTERKULTURALITÄT
KRITISCHEKULTURTHEORIE
KOMMENTIERTEBIBLIOGRAPHIE

Weber-Schäfer, Peter. 1997. Das dritte Auge und die Einheit von Ja und Nein. Über interkulturelles Verstehen und seine Verhinderung durch wohlmeinende Ignoranz. Wasser-Spuren. Festschrift für Wolfram Naumann zum 65. Geburtstag. Hg. von Stanca Scholz-Cionca. Wiesbaden: Harrassowitz, 141-158.

Schlagwörter: Interkulturalität, Hermeneutik, Stereotype, Rationalität, Irrationalität, Logik

Abstract: Im Zentrum der Darstellung Peter Weber-Schäfers steht die essentielle Frage nach der Möglichkeit interkulturellen Verstehens, die der Verfasser durch Bestandaufnahme sowie Analyse einiger Stereotype zu beantworten sucht, die im Kontext der Beschwörung unüberbrückbarer Differenzen resp. weitestgehender Übereinstimmungen zwischen westlichem und östlichem Denken wiederholt auftauchen. Als den interkulturellen Dialog hinderndes Mißverständnis wird auf westlicher Seite die Neigung zur Exotisierung der ostasiatischen Kunst- und Geisteswelt zu einer der europäischen Rationalität überlegenen "Weisheit des Ostens" angeführt; dieser Entwicklung steht auf östlicher Seite wiederum eine Selbstexotisierung gegenüber, die Tendenz zur Singularisierung der eigenen Kultur und ihrer Erklärung für diskursiv unzugänglich. Als Bespiele solcher Beurteilungsstereotype, die zudem die Isolierung des Gegenstandes aus dem realkulturellen Zusammenhang sowie seine Nutzbarmachung in davon divergierendem Sinne zur Folge haben, führt der Autor u. a. den westlichen Umgang mit dem Zen-Buddhismus an. Anschliessend werden zum einen Hintergründe der europäischen Zen-Rezeption untersucht, zum anderen die Frage nach der Legitimität der Kategorisierung Japans als "Land des Zen" gestellt. Ebenfalls kritisch hinterfragt wird die mit der Lokalisierung ostasiatischer Kulturen jenseits der Rationalität verbundene sowie pauschal vorgenommene Ablehnung der These von der universellen Gültigkeit der Logik seitens westlicher Intellektuellen. Es folgen einige Ausführungen zur Doppelkonnotation des Begriffes "Logik" als a) "Mindestkatalog von Regeln, denen Denken und Sprache folgen müssen, um realitätsadäquate und kommunikativ vermittelbare Aussagen über die Welt zu ermöglichen" (S. 154) und b) "System von Aussagen darüber, was die formale Gestalt dieser Regel ist und welche Bedeutung sie für vernünftiges Sprechen über die Welt haben" (ebd.) sowie zum Gefahrenpotential einer ungenügenden Differenzierung zwischen Logik als universell menschlichem Attribut und akademischer Disziplin, die immer dann in Erscheinung tritt, wenn Ostasien die Entwicklung einer lediglich rudimentären Logik vorgehalten wird. Der Aufsatz schliesst mit der Beantwortung der anfangs gestellten Frage nach der Möglichkeit interkulturellen Verstehens, die, so Weber-Schäfer, in eben der Universalität der Vernunft begründet liegt und durch vorrangige Aktivierung der allgemein menschlichen Erfahrung vs. Favorisierung einer kulturgebunden partikulären Symbolik verwirklicht werden kann.

Kommentar: Dieser Aufsatz, zu dem der Verfasser bescheiden vorbemerkt, er entspreche formal eher dem anekdotischen japanischen Essay als dem strengen wissenschaftlichen Diskurs (S. 141), wäre - gäbe es eine solche - der Rubrik "Was man/Japanologe schon immer sagen wollte, sich jedoch nie traute" zuzuordnen. Mit seltener Prägnanz, Pointiertheit und auch Humor unterzieht Weber-Schäfer einige repräsentative, aus der langen Reihe "interkultureller Verwirrungen" ausgewählte Bespiele von populären Irrtümern und Missverständnissen einer tiefgehenden Kritik sowie der Richtigstellung, ohne dabei in den - anderswo häufig anzutreffenden - erhabenen Sarkasmus des Initiierten zu verfallen. Er
wendet sich mit beachtlicher Kenntnis nicht nur fachwissenschaftlicher Inhalte, sondern auch bezüglich der von diesen erlittenen Verzerrungen gegen zwei ihrer Position nach zwar diametral entgegengesetzte, in ihrer Oberflächlichkeit sowie Verkennung und Missdeutung kultureller Faktizität jedoch gleichartige Typen der Auseinadersetzung mit Ostasien: zum einen die Exotisierung, Idealisierung, pseudoesoterische Verklärung (im behandelten Falle vornehmlich des religiösen Gedankenguts), zum anderen die Minimalisierung kultureller Leistungen durch Anwendung eines inadäquaten methodischen Instrumentariums und einer ungenügend differenzierten Terminologie. Der Aufsatz macht deutlich, dass Interkulturalität - will diese mehr als ein schmuckes, neumodisches Etikett sein - nur verbunden mit einer fundierten Kenntnis eben der Kultur(en) als sinnvoll erscheint. Der Lösungsvorschlag zum interkulturellen Verstehen mag in seinem Lakonismus manch einen Theoretiker stören, bleibt jedoch, zumindest im Dienste einer Bewegung "zurück nach vorn", unangreifbar. Es bleibt zutiefst zu bedauern, dass dieser Beitrag seine (zu Protagonisten gewordenen) Adressaten wohl nicht erreicht. (D.L.).