Kommentar:
Der Aufsatz ist Appiahs 1992 erschienenem Essayband In My Father’s
House entnommen. Der aus Ghana stammende Autor, Professor für Philosophie
am Du Bois Institute for African American Studies der Harvard University,
gibt einen Überblick über die Entwicklung Afrikas seit dem Ende
der Kolonialherrschaft. Mehr ist dazu nicht zu sagen.
Es erscheint ergiebiger, einen kurzen Artikel über Appiah von Andreas
Eckert hinzuzuziehen („Stolzer Ashanti. Kultur als Austausch“,
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 3. April 2002, N 3/ Geisteswissenschaften),
in dem einige Thesen des Wissenschaftlers referiert werden. Zu nennen
wäre z. B. die, wonach es „keine Rassen, aber Rassismus gebe“.
Als Reaktion auf die Apartheidpolitik mag das angehen, gleichwohl ist
es blanker Unsinn: Menschenrassen – lexikalisch definiert als „geographisch
lokalisierbare Formengruppen des heutigen Menschen (Homo sapiens sapiens),
die sich aufgrund überzufällig häufiger Genkombinationen
mehr oder weniger deutlich voneinander unterscheiden“ – gibt
es natürlich, und zwar Europide, Mongolide, Indianide und Negride,
und es weist weder auf Schubladendenken noch auf Rassismus hin, diese
Differenzierung, die kein Überlegenheits-/Unterlegenheits-Verhältnis
zwischen den Rassen behauptet, als objektiv gegeben anzusehen. Hingegen
ist es mehr als fraglich, ob Appiahs „kosmopolitischer Patriotismus“
existiert und ob er, wenn es ihn denn gibt, eine brauchbare Kategorie
darstellt: „Ein kosmopolitischer Patriot setzt sich nach Appiahs
Definition keineswegs über die Vielfalt menschlicher Identitäten
hinweg. Doch er leidet nicht an den Differenzen, sondern er genießt
sie.“ Man darf das getrost ins Reich der Märchen verbannen,
davon abgesehen, daß es etwas simpel ist und kaum empirischen Daten
entsprechen dürfte. In die gleiche Richtung – man könnte
sie als Ethnokitsch bezeichnen – weist auch folgendes, von Eckert
durchaus zustimmend angeführtes Zitat: „Der Kosmopolit besteht
darauf, daß es die Unterschiede sind, welche wir mit an den Tisch
bringen, derentwegen es sich überhaupt lohnt, miteinander umzugehen.“
Niemand wird bestreiten, daß kulturelle Vielfalt ein bewahrenswertes
Gut ist. Appiahs naives Bild vom (runden) Tisch, um den sich gleichberechtigte
Partner oder auch Gegner versammeln, um aufgeklärt miteinander zu
plaudern, unterschlägt aber vollkommen die kulturelle Dominanz des
Westens, speziell des chairman Nordamerika: Der american way of life bestimmt
heute, wo es lang geht; Appiah, seit langem amerikanischer Staatsbürger,
müßte es eigentlich wissen. - In diesem Zusammenhang wäre
auch auf den Wirtschaftfaktor Kultur zu verweisen, für den das Konzept
des Kosmopolitismus überhaupt keine Rolle spielt, außer vielleicht
in dem konsolidierenden Sinne, daß es von kritischen Fragen ablenkt.
Diskutabel ist des weiteren Appiahs These von der fortwährenden Evolution
der Kulturen, die keineswegs zwangsläufig zu einer die Differenzen
nivellierenden Angleichung, wohl aber zu wechselseitigen Austausch- und
Aneignungsprozessen führe. Demzufolge bilden die Kulturen der Welt
ein fluktuierendes System, das eine Festlegung dessen, was jeweils das
Eigene und das Fremde ist, unmöglich macht. Ohne bestreiten zu wollen,
daß sich Kulturen entwickeln, daß sie Einflüsse 'von
außen' aufnehmen und ihrerseits beeinflussend wirken (können)
– sie sind kein Pudding, und es ist sehr wohl möglich, das
Eigene zu bestimmen. Wäre ein solches Bewußtsein des Eigenen
nicht überhaupt die Voraussetzung für den respektvollen Umgang
mit dem Anderen? Ist nicht alles egal, wenn alles 'egal' ist? Begibt man
sich nicht der Möglichkeit, den Ursachen kultureller Erosion auf
den Grund zu gehen und auf diesem Wege Gegenmittel zur Abwehr eines Prozesses
zu finden, dem in Appiahs mythisch-organischem Modell die Unangreifbarkeit
eines meteorologischen Ereignisses zuwächst, das sich nur beobachten,
aber nicht kritisieren läßt?
Der auf den ersten Blick ultraliberale Ansatz Appiahs erweist sich bei
näherem Hinsehen also als durch und durch ideologisch und herrschaftsfreundlich.
Anstelle einer Kulturtheorie stiftet Appiah eine Kulturreligion, die die
Probleme verkleistert, anstatt sie zu lösen. (M.R.)